headerimg
#1

Früher Nebel

in Dies und Das 18.02.2013 13:20
von Katjawa • 3 Beiträge

Früher Nebel

Es ist früh am Morgen und dichter Nebel rollt sich schwerfällig über Wiesen und Felder.
Er verschluckt alle Klänge. Bedeckt sie mit einem Mantel der Stille. Ich nehme nur meine eigenen
Schritte wahr. Einen nach dem anderen. Das Laub unter meinen Füßen. Es ist klamm! Kalt! Mir ist kalt!
Mein geschundener Körper schleppt sich, gebeugt in die Nähe des Waldes. Ich treibe mich zur Eile an.
Das dünne Hemd, welches meinen ausgehungerten, schwachen Körper einhüllt, bietet nur wenig Schutz,
vor dem frostigen Herbstwind.

Es ist gezeichnet von den Spuren der Gewalt. Die Flecken aus Blut, Urin und Schweiß, erzählen ihre eigene Geschichte.
Eine schier niemals endende Gänsehaut, überzieht meinen ganzen Körper. In meinen Ohren dröhnen die kalten,
tödlichen Worte meiner Peiniger. Wie sie mir drohen, mich verhöhnen! Mir keinen Funken Hoffnung, auf Erlösung lassen.
Wie sie mich zu Boden werfen, nach dem sie mich geschlagen, getreten und mit Messern, meine Haut, an unzähligen
Stellen verletzt haben. Mich ein ums andere Mal schändeten.

Der Metallische Dunst meines Blutes, erfüllt meine Sinne. Sie haben mich weggeworfen! Wie ein Stück benutztes Papier.
Zerknüllt! Zerrissen!
Erlösung. Diesen Zustand, habe ich mir während meines Martyriums oft herbei gesehnt. Ich wollte, dass sie aufhören!
Von mir ablassen! Ich wollte sterben!
Ich habe mir gewünscht, dass sie einfach eine Waffe an meine Schläfe halten und abdrücken. Tausend Mal habe ich mich
nach dem erlösende Klicken des Abzugs verzehrt. Mir vorgestellt wie „diese eine Kugel“, in Sekundenbruchteilen alles
auslöscht. Jede Erinnerung. Jede Hoffnung. Jeden Schmerz.

Doch dann, nach dem sie durch reichlich Alkohol betäubt eingeschlafen waren, bot sich meine erste, einzige Chance.
Vorsichtig kletterte ich über einen der stinkenden Leiber. Nur knapp verfehle ich dabei einen Stuhl. Er wackelte gefährlich,
aber ich konnte gerade noch verhindern, dass er zu Boden knallte. Mit angehaltenem Atem verharrte ich in meiner
Position. Langsam und zähflüssig rann ein Saft aus Samen und Blut an meinen Schenkeln herab.
Der erneut aufkommende Geruch vermischte sich mit dem Dunst aus Alkohol und Schweiß und ließ meinen
Magen rebellieren. Angewidert kämpfte ich gegen den Würge reiz an, der meine Speiseröhre herauf kroch. Ich zwang
mich zu schlucken. Die aufsteigende Galle zurück zu drängen. Der säuerlich, bittere Geschmack auf meiner Zunge
ekelt mich, aber ich halte ihn aus.
Als sich einer der beiden Männer auf die Seite rollte und so den Weg zum Ausgang frei machte, reagierte ich sofort
und schlüpfte aus der Tür ins Freie. Der frische Atem des Oktobers empfing mich mit offenen Armen und ich lief los.
Schritt für Schritt. Immer weiter. Weg von der Hütte, hinein in den feuchten Nebel. Weg von dem Ort, der einmal mein
zu Hause war. Es nie wieder sein konnte!

Meine nackten Füße schmerzen auf der unebenen, rauen Erde. Bei jedem Schritt zittern meine Beine und ich habe Angst,
dass sie mir den Dienst versagen. Meine ausgetrockneten Lippen brennen. Immer wieder lecke über die spröden Stellen.
Hoffe auf Linderung.
Doch plötzlich höre ich ein Geräusch. Ängstlich zucke ich zusammen. Stürze mich auf die Knie. Hülle mich in einen Schleier
aus Nebel. Mit angehaltenem Atem, lausche ich angestrengt. Bilder des Entsetzens schleichen sich in meinen Kopf.
Quälen mein Bewusstsein. Sie dürfen mich auf keinen Fall finden. Lieber heiße ich den Tod offen willkommen, als noch
einmal dort eingesperrt zu sein.
Mein Herz klopft einen wilden Takt. Ich halte meine zitternden Hände vor meinen Mund. Verberge den Hauch meines Atems
in der kalten Herbstluft. Panisch suchen meine Augen die Umgebung ab. Mein Puls dröhnt in meinem Kopf und macht es
schwer, mich zu konzentrieren. Ich kann nicht denken! Nicht atmen! Nichts hören!

Verzweifelt versuche ich durch die das wattige Gefühl in meinen Ohren, jedes Geräusch zu erfassen. Aber es bleibt still.
Ich schleppe mich in das Unterholz der Waldgrenze. Ziehe meinen Körper an den herabhängenden Ästen eines Baums
wieder auf die Füße. Meine Hände hinterlassen blutige Abdrücke auf der rissigen Rinde.
Sie werden meine Spuren finden. Mich jagen. Wie ein Stück Vieh, werden sie mich treiben. Aufgeschreckt von der Erkenntnis
wanke ich zurück. Eine Strähne meines Haares verfängt sich in einem Brombeerstrauch. Ungestüm entreiße ich sie aus
seiner Gewalt und stürze los.

Stolpere über das Laub. Einen Meter um den anderen. Bis meine Schritte schwerer werden. Ich weiß, dass ich keine Chance
habe. Ich taumle weiter, finde kaum noch Halt. Habe keine Kraft mehr! Ich falle!
Der weiche Waldboden fängt meinen Sturz ab. Rücklinks versuche ich mich, in den Schutz der nahen Büsche zu schieben,
doch meine Gliedmaßen gehorchen mir nicht. Meine Fingernägel krallen sich in die dunkle, fruchtbare Erde. Vergebens!
Sie finden keinen Ast, keine Wurzel und keinen Stein, der als Anker dienen könnte. Hilflos versuche ich, das Stückchen Stoff
das meinen Leib noch bedeckt, über meine glitschig, nassen Beine zu ziehen. Ich zucke vor Schmerz zurück, als ich den
langen Schnitt an meinem Oberschenkel berühre. Geschwächt sinkt mein Arm zur Seite.

Mein Blick ist starr in den Himmel gerichtet. Ich sehe nur die Kronen der Bäume. Studiere die verschieden Farben der bunt
gefärbten Blätter. Sie wiedersetzten sich vehement, dem bevorstehenden Wandel. Doch sie zögern das Unvermeidliche nur
heraus! Sie müssen ihr Leben lassen ob sie wollen oder nicht.

Zögere ich auch nur das Unvermeidliche heraus? Muss ich trotzdem sterben? War all meine Mühe vergebens? Ich lausche
meinem schwächer werdenden Herzen. Ein leiser, regelmäßiger Trommelschlag, der immer weiter in die Ferne rückt. In
seinem Rhythmus langsamer wird, bis ich ihn kaum mehr wahrnehmen kann.

Taubheit schleicht sich in meinen Körper. Ich fühle nichts mehr! Keine Kälte! Keinen Schmerz! Bin ich etwa nur geboren,
um hier und jetzt mein Leben zu lassen und neuem Platz zu machen? So wie jedes Blatt, das im Herbst sterben muss,
um Platz für die Knospen des Frühlings zu schaffen?

Meine Augenlieder flackern. Ich kann sie nicht mehr aufhalten. Plötzlich werde ich hoch gehoben. Mit dem letzten Funken
Lebenswillen, versuche ich mich zu wehren. Winde mich hin und her. Ein kaum hörbares Wimmern entringt sich meiner
Kehle.

„Bitte! Bitte nicht!“, fehle ich.

Unerwartet, höre ich eine weiche Männerstimme die mir leise Worte ins Ohr flüstert. Doch sie klingen dumpf in meinen Kopf.
Ich kann sie nicht verstehen. So sehr ich mich auch gegen die drohende Bewusstlosigkeit zur Wehr setzte, zieht sie mich
unablässig tiefer in die Dunkelheit, bis sie mich endgültig verschlingt.
Verzweifelt lasse ich los und schwebe davon.

So wie der Nebel der dem Sonnenaufgang weicht.

nach oben springen

#2

RE: Früher Nebel

in Dies und Das 20.02.2013 08:51
von CaroSusi • 79 Beiträge

Eindringlich und überzeugend. :-)

nach oben springen

#3

RE: Früher Nebel

in Dies und Das 20.02.2013 21:56
von DieNina • 19 Beiträge

Ja KatJa,

mein erster Gedanke zu dem Text: Und Du schreibst, Sushi sei bäh?!

Aber jetzt zum Text:
Besonders gut gefällt mir das tonlose Bild am Anfang

Zitat von Katjawa im Beitrag #1


Es ist früh am Morgen und dichter Nebel rollt sich schwerfällig über Wiesen und Felder.
Er verschluckt alle Klänge.


Dabei wird mir als Leser schon kalt!

Im vierten Absatz bin ich dann gestolpert. Ich mag ja Wiederholungen! Wie hier

Zitat von Katjawa im Beitrag #1
Es ist klamm! Kalt! Mir ist kalt!


Und das würde ich hier auch gerne lesen:

Zitat von Katjawa im Beitrag #1
bot sich meine erste, einzige Chance


also: MEINE einzige Chance.

Unten nach dem Bitte, bitte ist ein Rechtschreibfehler - also einer, der mir jetzt aufgefallen ist.

Und zum Abschluss noch. Mir ist nicht ganz klar, ist es eine weiche Männerstimme, weil Rettung nahte? oder ist es eine weiche Stimme, weil sie jetzt erlöst wird und stirbt.

Also, ich mag das Genre ja gar nicht, aber Deinen Text finde ich gut geschrieben!

LG, DieNina

nach oben springen

#4

RE: Früher Nebel

in Dies und Das 21.02.2013 13:18
von Katjawa • 3 Beiträge

Hallöchen Nina,
danke für deine Einschätzung. Dieser Text ist vor knapp zwei Jahren entstanden und sollte eigentlich
den Anfang für ein Buch werden (Ein böses Buch;-).), aber irgendwie ist es nie dazu gekommen.
Ich hätte den Text wohl etwas besser abstauben sollen, bevor ich ihn aus den hinteren Ecken meiner
Schreibordner hervor gekramt habe. Aber ich verstehe was du meinst, ich habe es beim nochmal durchlesen
auch gemerkt.

LG Katja

nach oben springen

#5

RE: Früher Nebel

in Dies und Das 21.02.2013 21:48
von DieNina • 19 Beiträge

Hei, ich glaube ich erinnere mich. Du hattest davon in der Schreibwerkstatt erzählt, kann das sein?

Meine letzte Einschätzung, dass ich nicht ganz weiß, warum sie die Stimme gedämpft hört, war positiv gemeint! (Beziehst Du dich überhaupt darauf?) Weder das eine erwähnt, noch das andere ausgeschlossen, dass lässt einen doch die Seite umblättern?!
Ich finde den Text so, wie er ist, gut. Auch wenn es nicht mein Genre ist, ich finde Poe schon zu arg. Ich glaube Mankell könnte ich gar nicht lesen.

LG, DieNina

nach oben springen


Besucher
0 Mitglieder und 1 Gast sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Hedda Schleicher
Forum Statistiken
Das Forum hat 84 Themen und 134 Beiträge.



Xobor Einfach ein eigenes Xobor Forum erstellen